Das Gespräch, häufig unterstützt durch Mimik und Gestik, ist die wohl wichtigste Form menschlicher Interaktion – sei es im privaten Umfeld, beim Flirt, im Beruf, in Politik und Wirtschaft. Der Rückzug ins »Homeoffice« hat aus dem Blickfeld geraten lassen, wie entscheidend, ja inspirierend ein beiläufiger verbaler Austausch am Arbeitsplatz sein kann. »Wir bleiben im Gespräch«, diese Aussage signalisiert die Bereitschaft zur Verständigung. Verstummt das Wort, steht es auch um unsere Freiheit schlecht. Im Dialog kommen wir einander näher, grenzen uns ab, deuten unsere Welt, verorten uns, entfliehen der Einsamkeit. Kersten Knipp erkundet in diesem Essay die vielfältigen Möglichkeiten, in denen wir sprechend miteinander in Kontakt treten und weshalb das Wort zwar nicht unbedingt der Anfang von allem gewesen sein mag, unser Dasein aber weitgehend bestimmt.
Die kulturellen und gesellschaftlichen Konflikte in den westlichen Demokratien verschärfen sich zusehends. Befeuert wird diese Entwicklung dadurch, dass im Namen einer höheren Moral zentrale Errungenschaften der Aufklärung in Frage gestellt werden. Das persönliche Erleben gerät zum entscheidenden Orientierungspunkt. Gesammelte Wissensbestände und historisch gewachsene Erkenntnisse hingegen gelten als Relikte einer unaufgeklärten und schuldbeladenen Gesellschaft. Wer hätte noch vor einigen Jahren vorhergesehen, dass nur noch identitätspolitisch ausgewiesene Personengruppen zu bestimmten Themen Stellung beziehen dürften; dass die Wissenschaftsfreiheit in Frage gestellt, die Bereitschaft zum Widerspruch in besorgniserregendem Ausmaß sinken würde? Nicht die Verbesserung des Bestehenden, sondern eine radikale Umorientierung wird seitens »woker« Vordenker angestrebt. Biologische und lebensweltliche Tatsachen gelten als bloße Zuschreibung, unbeschränkte Selbstbestimmung wird zum Gebot der Stunde. Auf welcher Grundlage sich der Mensch, der sich aller natürlichen Beschränkungen enthoben glaubt und aller Konventionen und Traditionen entledigt hat, selbst und beständig neu erschaffen soll, bleibt allerdings im Dunkeln. Bernd Ahrbeck zeigt die Gefahren auf, die von der Utopie einer grenzenlosen Machbarkeit ausgehen.
Jens Jessens mal heitere, mal melancholische, gelegentlich auch verstörende Betrachtungen – kongenial bebildert von Axel Scheffler, dem Schöpfer des »Grüffelo«.
Wo eigentlich liegt der Cyberspace? Können wir ihn fühlen, riechen, durchschreiten – hat er ein sinnliches Korrelat in der materiellen Welt? Während der reale, weltliche Raum, der physische Boden im 21. Jahrhundert durch fortschreitende Urbanisierung, klimatische Veränderungen und Raubbau an Ressourcen knapper zu werden droht, expandiert die virtuelle Welt in rasender Geschwindigkeit. Mehr und mehr gerät der Mensch zum dissoziativen Wesen: mit dem Kopf in der Datenbrille und den Füßen im Nirgendwo. Was aber bleibt, wenn körperliche Erfahrung durch Simulationen verdrängt, erlebte Wirklichkeit zusehends im Datennirwana aufgelöst wird? Wie kann sich der scheinbar entmaterialisierte Mensch in Zukunft verorten? Ralf Hanselle entwirft in seinem Essay ein Bild der conditio humana des heraufziehenden Homo digitalis.
Stilkunden beschäftigen sich in der Regel mit dem, was als guter Stil gilt, der schlechte findet allenfalls am Rande Erwähnung. Dabei ist er, statistisch gesehen, viel verbreiteter als der gute und verdiente schon deshalb größere Aufmerksamkeit. Außerdem hat er in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen durchaus eigene, wenn auch meist unbeabsichtigte Reize. Stefan aus dem Siepen nimmt sich ihrer mit der Leidenschaft eines maliziösen Genießers an. Erzählerische Nachlässigkeiten, überfrachtete Sätze, missglückte Anfänge, preziöse Wortwahl, sprachliche Vulgaritäten, schiefe Metaphern, raunende Titel, ungelenke Intimszenen, … – sämtliche vorgestellten stilistischen Patzer stammen aus den Federn großer Schriftsteller. Selbst diese waren gegen gelegentliche Ausrutscher nicht gefeit. Stefan aus dem Siepen legt mit seiner spiegelverkehrten Stilkunde keine Anthologie pedantisch kompilierter literarischer Fehlgriffe vor, vielmehr erweist er dem Geglückten seine Reverenz. Denn die Reflexionen über das sprachliche Pappmaché handeln immer auch von den edleren Materialien der Literatur.
Die Geburtsurkunde des Radios in Deutschland ist auf den 29. Oktober 1923 datiert. Vier Jahre später schon ließ sich Charles Lindberghs spektakulärer Flug über den Atlantik per Funk verfolgen. Das Weltgeschehen drang von da an bis in die entlegensten Winkel. Ein Knopfdruck genügte. Stephan Krass nimmt seine Leser mit auf eine fulminante Reise durch hundert Jahre Rundfunk – von den verheißungsvollen Anfängen in der Weimarer Republik über die Gleichschaltung unter Goebbels und dem akustischen Krieg alliierter Geheimdienste bis hin zu den legendären philosophischen Streitgesprächen der frühen Bundesrepublik, den Hörspielen, Bildungs- und Unterhaltungssendungen, Sportübertragungen und Livereportagen. Schließlich blickt er auf das erfolgreichste akustische Medium seit der Erfindung des Radios: den Podcast.
Dienstleistungen gibt es zuhauf, wir leben in einer Servicegesellschaft. Aber Dienstboten? Man kennt sie aus Historienfilmen, aus Fernsehserien wie »The Crown« und »Downton Abbey«. Ihr prominentester Vertreter ist der Butler, ohne den viele englische Romane nicht auskämen. Doch das Wort »Dienstbote« hat, anders als der Postbote oder der Pizzabote, einen altmodischen Klang. Dienstboten gibt es nicht mehr. Oder doch? Wie soll man die zahllosen Menschen nennen, die eine ungeliebte, meist schlecht bezahlte Arbeit verrichten? Ulrich Greiner wirft einen Blick auf den gegenwärtigen Umgang mit Dienstleistungen und kontrastiert diesen Befund mit vergangenen Formen aristokratischer und später auch bürgerlicher Repräsentation. Er widmet sich der Prachtentfaltung an irdischen Höfen, um darüber zu sinnieren, wie davon einst die Vorstellung vom Kosmos der himmlischen Heerscharen geprägt wurde. Denn sind nicht auch die Engel – in einem umfassenderen Sinn – Dienstboten?
Einen höheren Grad an Gleichberechtigung als in unserer Gesellschaft hat es kaum je in der Geschichte gegeben. In den gegenwärtigen Debatten jedoch scheint es häufig so, als seien noch nie so viele Menschen diskriminiert worden wie heute. Beständig drängen neue Interessengruppen mit Forderungen nach Entschädigung an die Öffentlichkeit, ein regelrechter Wettkampf, wem die größte Opferrolle gebührt, ist entbrannt. Befindlichkeit ist Trumpf. Mit den gesteigerten Empfindlichkeiten wächst das Bedürfnis nach Deutungshoheit und Sozialkontrolle. Gegen die Interessen und Lebensvorstellungen einer überwältigenden Mehrheit streben kleine Gruppierungen, getrieben von politischem Sendungsbewusstsein, den fundamentalen gesellschaftlichen Wandel und ein neues kulturelles Selbstverständnis an. Bernd Ahrbeck zieht eine ernüchternde Bilanz dieser Entwicklung und verweist auf ihre beachtliche Sprengkraft.
Von jeher galt es, nützlich, dauerhaft und schön zu bauen. Erst das »Neue Bauen« brach nach dem Ersten Weltkrieg mit der Überlieferung. Ein abstraktes Architekturverständnis wurde propagiert, man glaubte, auf den Schatz jahrhundertelanger Erfahrung verzichten zu können. Diese im Funktionalismus gipfelnde stadtzerstörerische und lebensfeindliche Praxis rief Widerstand auf den Plan, der an die Grundlagen des Architektonischen erinnerte. Damit rückte auch eine Selbstverständlichkeit wieder in den Blick, die angestrengter Beteuerungen nicht bedurfte: die Nachhaltigkeit. Doch mit dem »Green Deal« – der wundersamen Verschwisterung von Ökologie und Kommerz – steht dem Bauen nur ein weiteres unheilvolles Experiment bevor. Den Architekten allerdings beginnt die allzu bereitwillig akzeptierte Rolle als kreative Verpackungskünstler suspekt zu werden. Die Auflösung ihres Metiers in einer politisch motivierten, konsumdienlichen »Baukultur« jedenfalls wollen sie nicht widerspruchslos hinnehmen.
Die Provinz hat keinen guten Ruf. Sie gilt als verschlafen, rückständig und piefig. »Provinziell« zu sein, lässt sich daher niemand gerne nachsagen. Wer hip, modern sein und am Puls der Zeit leben will, muss sich in Berlin oder einer der Metropolen dieser Welt herumtreiben. Vergessen wird jedoch oft, dass das geistige und kulturelle Leben Deutschlands jahrhundertelang in der Provinz stattfand und bis heute stattfindet – man denke nur an Weimar, Heidelberg, Tübingen oder Marburg. Eine Metropole gab es lange Zeit nicht. Die Provinz war Ort des Aufbruchs, des intellektuellen und wirtschaftlichen, aber auch des erotischen, wie die französische Literatur des 19. Jahrhunderts belegt. Von Würzburg über Bochum und Siegen nach Palo Alto: Der Weltbürger Hans Ulrich Gumbrecht hat fast ausschließlich in der Peripherie gelebt. Da, wo sich Hightech-Unternehmen, Forschungsinstitutionen und viele der besten Universitäten der Welt befinden. Das Silicon Valley steht paradigmatisch für diesen Trend. Ist die Provinz vielleicht doch besser als ihr Ruf?
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