»eine fantastische Geschichte« Heinz Flischikowski in: Kulturwerkstatt Meiderich, Mai 2022
Einen höheren Grad an Gleichberechtigung als in unserer Gesellschaft hat es kaum je in der Geschichte gegeben. In den gegenwärtigen Debatten jedoch scheint es häufig so, als seien noch nie so viele Menschen diskriminiert worden wie heute. Beständig drängen neue Interessengruppen mit Forderungen nach Entschädigung an die Öffentlichkeit, ein regelrechter Wettkampf, wem die größte Opferrolle gebührt, ist entbrannt. Befindlichkeit ist Trumpf. Mit den gesteigerten Empfindlichkeiten wächst das Bedürfnis nach Deutungshoheit und Sozialkontrolle. Gegen die Interessen und Lebensvorstellungen einer überwältigenden Mehrheit streben kleine Gruppierungen, getrieben von politischem Sendungsbewusstsein, den fundamentalen gesellschaftlichen Wandel und ein neues kulturelles Selbstverständnis an. Bernd Ahrbeck zieht eine ernüchternde Bilanz dieser Entwicklung und verweist auf ihre beachtliche Sprengkraft.
Die Debatte um Raubkunst und Restitution wird seit einiger Zeit mit großer Vehemenz geführt. Eine Schlüsselfigur dabei ist die in Berlin und Paris lehrende französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Gemeinsam mit dem senegalesischen Sozialwissenschaftler Felwine Sarr erstellte sie im Auftrag von Emmanuel Macron einen »Bericht« über die Möglichkeiten einer Rückgabe afrikanischer Kulturgüter, die sich in französischen Museen befinden. Die Wirkung dieses Berichts entfaltete allerdings in Deutschland eine ungleich größere Wirkung: Mit der Eigentumsübertragung des Komplettbestands der Benin-Bronzen wurde hierzulande ein Präzedenzfall geschaffen. Das Prinzip der Unveräußerlichkeit des öffentlichen Kulturbesitzes ist zurückgetreten hinter der Maxime »Im Zweifel für die Restitution«. Patrick Bahners erörtert anhand von Savoys Texten den Mechanismus, der die öffentliche Debatte mittlerweile antreibt. Kunst gerät (wieder) zum Gegenstand eines quasi-religiösen moralischen Enthusiasmus, und Wissenschaft wirkt im Namen des Expertentums über medialen Druck auf die Politik ein.
Dienstleistungen gibt es zuhauf, wir leben in einer Servicegesellschaft. Aber Dienstboten? Man kennt sie aus Historienfilmen, aus Fernsehserien wie »The Crown« und »Downton Abbey«. Ihr prominentester Vertreter ist der Butler, ohne den viele englische Romane nicht auskämen. Doch das Wort »Dienstbote« hat, anders als der Postbote oder der Pizzabote, einen altmodischen Klang. Dienstboten gibt es nicht mehr. Oder doch? Wie soll man die zahllosen Menschen nennen, die eine ungeliebte, meist schlecht bezahlte Arbeit verrichten? Ulrich Greiner wirft einen Blick auf den gegenwärtigen Umgang mit Dienstleistungen und kontrastiert diesen Befund mit vergangenen Formen aristokratischer und später auch bürgerlicher Repräsentation. Er widmet sich der Prachtentfaltung an irdischen Höfen, um darüber zu sinnieren, wie davon einst die Vorstellung vom Kosmos der himmlischen Heerscharen geprägt wurde. Denn sind nicht auch die Engel – in einem umfassenderen Sinn – Dienstboten?
Farah Hareb war zwei Jahre alt, als ihre Eltern vor dem Bürgerkrieg im Libanon flüchteten. Und obwohl sie schon lange als Krankenschwester in Deutschland arbeitet, ist sie als Staatenlose immer noch lediglich geduldet: Mal fehlte Behörden ein Stempel auf der Geburtsurkunde, dann galt sie als Türkin – mit immer neuen Hürden wurde und wird ihr die deutsche Staatsbürgerschaft bis heute verweigert. Während Farah Hareb auf einer Intensivstation Covid-19-Patienten pflegt und sich dabei selbst mit dem Virus infizierte, ist ihr aufenthaltsrechtlicher Status nach wie vor ungeklärt. Sie lebt von einer amtlichen Duldung zur nächsten. Der Verlust ihres Arbeitsplatzes stand im Raum, sogar eine Ausweisung.
Der menschliche Umgang mit der Notdurft hat eine Geschichte. Er spiegelt die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsschritte von Gesellschaften. Um sie nachvollziehen zu können, reicht es nicht, nur die Entwicklung des Ortes der Notwendigkeit an sich sowie die damit verbundenen festen und mobilen Erzeugnisse unter die Lupe zu nehmen. Auf Grundlage von schriftlich überlieferten Schilderungen und persönlichen Berichten erhellt Johann-Günther König, wie sich die abendländischen Toilettengewohnheiten zu dem entwickelt haben, was sie heute sind.
Die Synagogengemeinde Wunstorf war eine der vielen jüdischen Landgemeinden in Königreich und preußischer Provinz Hannover im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Heute noch sichtbares Zeugnis dieser Gemeinde ist vor allem der von 1830 bis 1938 belegte neue Friedhof. Dessen noch erhaltene Grabsteine erzählen, zusammen mit weiteren Quellen, die Geschichte der Gemeinde und der Menschen, die ihr angehörten. Dabei umfasst die Lebenszeit der hier Begrabenen mit den Jahren von ca. 1750 bis 1938 eine bedeutsame Epoche des deutschen Judentums: den von Rückschlägen gekennzeichneten Weg zur bürgerlichen Gleichstellung, innerjüdisch begleitet von der Entstehung neuer Strömungen wie Reformjudentum und Neo-Orthodoxie – ein wichtiges Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte im Schatten des Holocausts.
Mit der Orientierung des Denkens vom Sein aufs Subjekt nahm die kopernikanische Wende der modernen Philosophie ihren Ausgang. Ohne Reflexion auf die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis schien fortan kein gesichertes Wissen mehr denkbar. Moderne Philosophie mußte somit immer auch Theorie des Subjekts sein. Adornos Philosophie steht in dieser modernen Tradition, da auch für sie der Subjektbegriff zentral ist. Aber seine Theorie des Subjekts ist eine kritische. Das Subjekt, das er untersucht, ist nicht primär das der Weltkonstitution, sondern das des Leidens an den blinden gesellschaftlichen Mechanismen, denen es unterworfen ist. Obwohl von Individuen gemacht, wirft sich die Gesellschaft, deren Prinzip die Verwertung des Werts und nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der Individuen ist, selber wiederum zu einem Subjekt auf, dessen Zwang die Subjekte verinnerlichen, statt ihn abzuschaffen. Indem Jan Weyand sich auf Adornos kritische Theorie des Subjekts konzentriert, bringt er die schon seit langem kontrovers diskutierte Frage nach dem Maßstab der Kritik in der kritischen Theorie einer Beantwortung näher.
Die »Zeitschrift für kritische Theorie« ist ein Diskussionsforum für die materiale Anwendung kritischer Theorie auf aktuelle Gegenstände und bietet einen Rahmen für Gespräche zwischen den verschiedenen methodologischen Auffassungen heutiger Formen kritischer Theorie. Sie dient als Forum, das einzelne theoretische Anstrengungen thematisch bündelt und kontinuierlich zu präsentiert. www.zkt.zuklampen.de
In »›Ich hab noch nie auf einer ruhigen Insel gelebt‹« werden die Ergebnisse einer Gruppendiskussionsstudie von 2020 vorgestellt, die vielschichtige Einblicke in den Alltag einer dynamischen Metropole bieten. Aktuelle Konflikte in einer diversen Stadtgesellschaft und die Präsenz einer wechselvollen Geschichte werden von den Autorinnen und Autoren beschrieben.
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